Lea Ammertal und ich waren ab dem 5. Mai 2025 für eine Woche zu einer Künstlerinnen Residenz im Maxhaus in Nordhalben. Es war eine wunderbare Erfahrung und wir sagen einfach nur DANKE!
Unser Thema war "Waldkleid", die Zusammenführung von lyrischen Waldtexten (Lea) und Waldbildern (Ulli). Damit haben wir bereits im Schwarzwald begonnen - jetzt ging es um die Weiterführung des Konzepts unter Einbeziehung des Frankenwalds und der Atmospähre, die uns in Nordhalben und Umgebung begegnete. Dabei sind die folgenden Werke entstanden:
- durch anklicken des einzelnen Bildes kann es formatfüllend dargestellt und besser lesbar gesehen werden
- die Ausarbeitung entspricht der zum Stand der Finissage, die eine oder andere Nachbesserung kann es im Laufe der Zeit noch geben
Unter der Fragestellung
„Was verbindet Sie mit Nordhalben, der Umgebung - den Menschen?“
haben wir die Nordhalbener Bevölkerung eingeladen, Teil des Ganzen zu sein.
Den Menschen, die sich hier von uns portraitieren liessen, gilt unserer besonderer Dank, denn es gehört viel Vertrauen dazu, sich darauf einzulassen. Leider wurde dann die Zeit zu knapp, um alle Ideen umzusetzen - Ihr lieben "Nicht-Portraitierten" wir haben Euch auf der Liste ;-)
Menschen und Impressionen:
- durch anklicken des einzelnen Bildes kann es formatfüllend dargestellt werden
- etwas umfangreicher als bei der Finissage, hatte noch etwas im Fundus ;-)
4.Mai
Nordhalben
Klappe 1 Ankunft:
Während der letzten Kilometer Autofahrt steigt die Spannung: Was erwartet uns im Maxhaus, welche Erwartungen begegnen uns? Finden wir während dieser einen Woche überhaupt einen Zugang zu diesem Ort, seinen Leuten?
Heidi und Otmar Adler begrüßen uns bei Kaffee und selbstgebackenem Käsekuchen in ihrer Villa. Noch am Kaffeetisch gibt Otmar eine Einführung in die Entstehungsgeschichte des Maxhauses als Impulsgeber für eine Gemeinde, die durch Abwanderung von mehr als der Hälfte ihrer Bewohnerschaft in Folge von Fabriken-und Geschäftsbetriebssterben nach der Wende auszubluten drohte.
In Kooperation mit einer Essener Künstlergruppe wurde die Idee entwickelt, Nordhalben neu zu beleben, indem für Künstlerinnen und Künstler die Möglichkeit geboten wurde, hier im Ortszentrum in einem begrenzten Zeitraum zu leben und zu arbeiten und damit für Lebendigkeit und neue Zukunftvisionen zu sorgen.
Mit großem ehrenamtlichem Engagement und finanzieller Unterstützung durch die Stiftung einer ehemaligen Nordhalberin, Frau Elisabeth Neumeister, wurde das baufällige Maxhaus renoviert und hergerichtet. Im August 2016 zogen die ersten Künstlerinnen und Künstler ein und waren begeistert, wie sich im Gästebuch nachlesen lässt.
Wir lauschen Otmars Erinnerungen, die durch Heidi mit einem Lächeln ergänzt werden. Das Gefühl von Fremdheit verfliegt.
Und dann halten wir tatsächlich die Schlüssel für unser Domizil der kommenden Tage in Händen.
Ab jetzt sind wir Residenzkünstlerinnen.
Klappe 2 Albert:
Vor der Eingangstür zum Schauatelier, in welchem Fotografin Ulli und Dichterin Lea am ersten Abend gerade eine Staffelei aufstellen, hält ein Fahrradfahrer und steigt ab.
Albert, wie er sich vorstellt, tritt durch die Tür, den Fahrradhelm auf dem Kopf, Fahrradhandschuhe an den Händen.
"Ich bin hier der Mann fürs Praktische".
Er zeigt uns den Ofen im Keller. Den Aschekübel.Das Feuerholz.
Obwohl wir schon Mai haben, ist es nochmal kalt geworden und wir sind froh, einheizen zu können.
In unserer Bewerbung und im Ankündigungstext steht, dass unser Arbeitsansatz in Nordhalben interaktiv angelegt ist.
Jetzt müssen also Worten Taten folgen und Albert wird sofort gefragt, ob er bereit wäre, ein wenig von sich zu erzählen und sich dabei fotografieren zu lassen.
Spontan lehnt Albert ab. Er sei nicht fotogen.
"Kein klassisches Posieren wie in den Foto-Studios", versuchen wir ihn umzustimmen, "du wirst Fragen beantworten und gar nicht merken, dass du dabei fotografiert wirst".
"Ich habe da eine Idee, ich würde am liebsten dein Gesicht hinter dem Vorderrad deines Fahrrads fotografieren", sagt Ulli, und damit erreicht sie Kehrtwende. "Also gut, wann?"
"Wenn es dir gleich morgen passt?"
"Morgen, 14 Uhr bin ich da."
5. Mai
Nordhalben
Klappe 3 Morgenroutine:
Schon jetzt ist das mein Lieblingsplatz morgens in der Küche:
noch schlaftrunken zum großen Fenster hinausblicken. Durch die Linde am rechten Bildrand schimmert die erste Morgensonne.
Das Feuer knistert schon ( Feuer? Es ist Mai! Ja, und trotzdem war die Nacht bitterkalt. Ein Glück, dass wir die Einweisung durch Albert am Ofen hatten !), die Kaffeemaschine blubbert.
Im Radio läuft die Sicilienne für Cello und Streichinstrumente von Gabriel Fauré.
Mit der heißen Kaffeetasse in der Hand beobachte ich mittig im Fensterausschnitt denselben jungen Mann wie gestern morgen zwanzig nach sechs, wie er in dunkler Arbeitskluft mit zügigen Schritten die Amlich Straße hoch kommt.
Ich gehe Holz nachlegen, das Feuer brennt lustig, die Küche erwärmt sich.
Ulli erscheint in der Tür. Guten Morgen! Sie hat eine Gestaltungsidee für "Nocturne", das Gedicht für die Finissage am Freitag. Zeig mal...
Klappe 4 Frankenwald:
Vom Friedhof im Ortszentrum aus blicken wir fassungslos auf den großflächigen Hügel gegenüber, der vor einigen Jahren noch bewaldet war und nun selbst daliegt wie ein Friedhof.
Ungeschützt und nackt zeigt der Hügel seine Kahlheit, einige tote Fichten stehen aufrecht wie Mahnmale als Skelette auf der Kuppe.
Von den Menschen als Brotbäume in Monokulturen gepflanzt, sind sie jetzt unter den veränderten Klimabedingungen zur leichten Beute für den Borkenkäfer geworden.
Der Anblick eines Schlachtfeldes in riesigen Ausmaßen. An den Rändern wachsen Laubbäume empor und haben wunderbar frisches Maigrün ausgetrieben. Veränderung ist im Gange.
Klappe 5 Besuch im Atelier:
Wir hatten die Türen des Ateliers zum ersten Mal geöffnet und die Menschen kamen. Ihr Interesse und ihre Offenheit waren wie eine warme Dusche zum Tagesabschluß.
6. Mai
Nordhalben
Klappe 6: Skulpturenpfad zwischen Himmel und Erde
Höhepunkt des zweiten Tages ist Nordhalbens Skulpturenpfad.
Wir nehmen uns viel Zeit und erleben seine künstlerische, umsichtig in die Landschaft eingebettete Strahlkraft.
Ein wiederkehrendes Thema ist die ehemalige deutsch-deutsche Grenze, die ganz in der Nähe verlief und sich heute als Grünes Band zu einem eigenen Ökosystem entwickelt hat
Daran knüpfen die drei umrissartigen menschlichen Figuren von Nicole Bischoff an, deren Anblick mich besonders fesselt und nicht loslässt.
"Die Mauer in uns" führt den Blick von Außen nach Innen, regt dazu an, Ursache und Wirkung in ihren Dimensionen zu befragen. Gleichzeitig erlaubt es die Durchlässigkeit und Leichtigkeit der Figurengestaltung, sich ganz ohne verkopften Ballast einfach nur ihrer Schönheit inmitten der Natur hinzugeben.
Schiefer und Holz als Materialien dieser Gegend sind über viele Generationen hindurch nutzbar gemacht worden und noch heute sichtbar an vielen Häusern und Gebäuden als Baustoff, Bedachung oder Fassade.
Auch wir befinden uns im Bann des Schiefers:
Beim Spaziergang über die angrenzende Lerchenwiese entdecken wir einen Fundus entsorgter Schieferplatten und werden zu eifrigen Sammlerinnen, die die schwarzglänzenden Schätze als Arbeitsmaterial mit ins Maxhaus nehmen. Futter für uns und Anlass für Fotografie und Wort, in künstlerische Korrespondenz zu gehen... gleich morgen...
Klappe 7: Mensch, ärgere dich nicht
Ich frage Ulli nach unserem kleinen Rundgang in Nordhalben: Welches Spiel wird hier gespielt?
Wir haben einiges über die Krise der letzten Jahrzehnte gehört, über Bewältigungsstrategien mit neuen Konzepten und Visionen.
Wo stehen die Spielfiguren, wer bestimmt die Regeln?
Es wäre vermessen, das Spiel Nordhalbens in einer Woche erfassen zu wollen. Aber wir haben inzwischen eine Ahnung und erste Eindrücke gesammelt, die sich im Austausch allmählich zur Gestalt formen.
Wir brauchen ein Spielfeld als Sinnbild.
Mensch, ärgere dich nicht. Wir sind damit aufgewachsen, und auch die Gamer-Generation hat es zumindest im Kindesalter mit den Großeltern gespielt. Daran lässt sich vielleicht anknüpfen.
Gleich neben dem Maxhaus ist ein Spielwaren-und Geschenkeladen, eines der letzten Geschäfte, das es hier noch gibt.
Ich geh mal rüber und frage nach, sage ich zu Ulli
Michael begrüßt mich und hört aufmerksam zu, als ich mich vorstelle und meinen Wunsch äußere.
Ihr braucht das Mensch-ärgere-dich-nicht für eure Arbeit?
Da musst du keines kaufen, ich habe noch ein altes, das ich euch leihen kann,wenn euch das reicht.
Er verschwindet kurz und kommt mit einer Schachtel wieder: Hier!
7. Mai
Nordhalben
Klappe 8: Die Buch´
Beim ersten Fototermin hatte Albert von ihr erzählt und versprochen, uns zu ihr zu führen.
Jahrhundertealt sei sie, in seiner Kindheit geheimer Treffpunkt, um dort mit den anderen Räuber und Gendarm zu spielen, später den Namen der Liebsten in ihre Rinde zu schneiden. Sie stehe heute noch an ihrem geheimen Ort.
Heute ist es so weit.
Wie verabredet, holt Albert uns in seinem Auto pünktlich ab und fährt mit uns nach Langenbach, seinem Heimatdorf auf der Hochebene, zu welchem es aber von Nordhalben aus erstmal hinunter ins Langenbach-Tal und dann wieder steil bergauf geht.
Am Friedhof wird das Auto geparkt. Hier beginnen ausgedehnte, eingezäunte Wiesen. Gleich neben uns weidet eine kleine Herde Kühe und Kälber. Vogelstimmen. Idylle für den Augenblick.
´Unsere Kindheit fand draußen statt, sommers wie winters´, sagt Albert, und weist mit dem Finger zu einem Abhang, der in den schneereichen Wintern damals zum Skifahren genutzt wurde.
Aus Haselruten machten sie sich im Frühling Pfeil und Bogen und zielten um die Wette.
´Jetzt müssen wir über den Zaun steigen´, sagt Albert,´dort unten steht die Buch´.
´Da war früher Wald, alles Wald, von unten herauf hat man nichts gesehen und wir waren vor den Augen der Erwachsenen versteckt.´
Ein mächtig großer Baum erhebt sich vor uns, von den Wurzeln bis zur Krone so ausladend, wie wir es selten gesehen haben: Die Buch´! Ein Naturdenkmal! Wie ein riesiger Umhang, eher noch: Wie ein Zeltdach breitet sich ihr Blätterkleid bis zum Boden hinab aus.
Albert steigt ein paar Äste hinauf, die selbst so dick wie Stämme sind.
Ullis Fotoapparat ist ausgepackt.
`Bist du bereit, Albert?´
Albert, der Nichtraucher, packt ein Röhrchen aus, in dem er eine Zigarette eingepackt hat.
Extra für heute.
Hier an der Buch´ hat er als 9-oder 10-jähriger Bub mit den Kameraden heimlich seine erste Zigarette geraucht.
`Lehn dich mit dem Rücken an den Baumstamm`, sagt Ulli.
`Vielleicht wird mir jetzt gleich genau so schlecht wie damals bei der ersten".
Alberts Erste war eine Lux mit Filter. Rot-weiß. `Ich weiß es noch ganz genau. Und mit einer Gauloise, vielleicht vom Vater stibitzt, warst du der King`.
Was tief in der Erinnerung begraben liegt, steigt Rücken an Rücken mit der Buch´ empor und wird lebendig. Auf Alberts Gesichtszügen liegt etwas Verwegenes, das ihn für einen kurzen Moment zu einem anderen Menschen macht- oder vielmehr eine verborgene Seite in ihm offenlegt.
Albert, der pflichtbewusste Schaffer und Kümmerer, sei es für die Familie, die Kirchengemeinde oder bei NohA für die Gastkünstlerinnen und-künstler, hält die Zigarette zwischen den Fingern und blickt hinaus ins Weite.
Dann hustet Albert, und dieser Moment unterm grünen Zeltdach der alten Buche ist vorbei.
Klappe 9: Stunde der Offenen Tür
Um fünf öffnen wir zum zweiten Mal die Ateliertür. Otmar hat die Presse eingeladen. Wir dürfen uns über kluge Fragen freuen, statt wie so oft das Gefühl zu haben, Plattitüden aufgetischt zu bekommen oder liefern zu müsse. Aber Norbert Neugebauer, Berichterstatter der Neue Presse Kronach weiß genau, wovon er spricht- Entwarnung!
Unsere Zaungäste sind wie schon am Montag interessiert daran, was sich inzwischen entwickelt hat.<<
Die Natur als Inspirationsquelle hat sich deutlich sichtbar auf meinem Arbeitstisch ausgebreitet mit gesammelten Schneckenhäusern, gepflückten Blumen und Schieferbruchstücken. Sie scheinen den Schreibstift wie gute Geister in ihre Mitte zu nehmen.
8. Mai
Nordhalben
Klappe 10: Wiesenwanderung
Bärwurz analog
Seine Blättchen
ein pelz-
weiches
Gefieder
grünend
unter
staunenden
Fingerkuppen
9. Mai
Nordhalben
Klappe 11: Besuch der Klöppelschule
Fliegende Hände der Klöpplerin
drehen-kreuzen-drehen-kreuzen
Leinenschlag Geduldsübung für
das filigrane Gespinst vom nadel
gespickten Klöppelkissen
Leise Trommelei der Holzschlägel
abgelöst von Maschinenträumen
Pfadfindertreffen in Lochkarten
wäldern der nächste Morgen
kleidet sich in Klöppelspitze
Bis zum Aufgang der Sonne
um sich in ihrem Gold
von den Rändern her
pianissimo allmählich
wieder aufzulösen
Klappe 12: Die Bildhauerin
Eine Frau mit meergrün umrandeten Augen steht als Hüterin der Haustür in der Amlichstraße und zog meinen Blick schon am Sonntagabend bei der ersten Erkundungsrunde in Nordhalben auf sich.
An ihrem schlanken Körper aus Eiche wächst rechts und links von den Schultern ein Flechtwerk aus Wasserhyazinthe und Weide, das als Arme oder auch Flügel gesehen werden könnte.
Wer hat diese wunderschöne Figur geschaffen?
Auf einer Holztafel neben der Tür lese ich: Judith Franke, Bildhauerin.
Am nächsten Tag klingle ich dort.
Und komme zurück ins Maxhaus: `Ulli, du musst Judith unbedingt fotografieren, sie arbeitet gerade an einem Auftrag in ihrer Küche mit Holzherd wie vor hundert Jahren, die gleichzeitig als Atelier dient.
Wie so häufig ist dieser Besuch am Ende unserer Nordhalben-Zeit ein Höhepunkt, den Ullis Aufnahmen als Blitzlicht festhalten konnte.
Judith ist ausgebildete Flechtwerkgestalterin mit Bildhauerei-Studium, das sie in Oberammergau absolviert hat.
Von Anfang an wollte sie die Arbeit in Holz mit Flechtwerkarbeit verbinden, was an der Akademie auf wenig Gegenliebe stieß, bei den Symposien und Ausstellungen aber große Beachtung fand.
`Außerdem habe ich immer figürlich gearbeitet, während die meisten abstrakt unterwegs waren.`
Vor vier Jahren kam Judith während des Kunstsommers nach Nordhalben und blieb.
Hier kann sie ihre Liebe für Tiere ausleben. Im Haus wohnt sie mit Momo, der alten Hündin und fährt täglich mit dem Fahrrad zu ihrer Stute Olga auf einer Weide am Ortsrand.
Judith lebt von ihrer Arbeit, allerdings auf sehr bescheidenem Niveau ohne jeglichen Komfort.
Ihre Figuren aber strahlen Lebensfreude und eine große Vitalität aus.
Wie schön, dass wir dich kennenlernen durften, Judith!
Klappe 13: Finale und Liebeserklärung
Die Besonderheit unserer Residenz bestand vor allem darin, dass wir hier künstlerisch nicht einzeln, sondern zu zu zweit unterwegs waren. Auch die Finissage planen wir als kleine Performance, bei welcher wir uns gegenseitig die Bälle zuwerfen.
Da keine Musik dabei ist, wie sonst üblich, überlegen wir uns einen Rhythmus im Wechsel zwischen Gedichtvortrag und gemeinsamer Fokussierung auf die Fotomotive, zwischen Plauderton und tiefer schürfenden reflektierenden Gedanken. Der Plan geht vom ersten bis zum letzten Moment voll auf, unser Publikum ist hoch konzentriert und zugewandt.
Die Wehmut des Abschieds klingt an, als sich die Tür hinter dem letzten Gast schließt..
Mehrfach haben wir gehört: ´Kommt ihr wieder`?
Auf jeden Fall!